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Возлюби ближнего своего

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Эрих Мария Ремарк (1898-1970) — знаменитый немецкий писатель. В его романах запечатлены антифашизм и социальная критика с гуманистических позиций, стремление «потерянного поколения» найти опору в дружбе, фронтовом товариществе и любви. «Возлюби ближнего своего» (1940) — это роман о немецких эмигрантах, вынужденных скитаться по предвоенной Европе. Они скрываются, голодают, тайком пересекают границы, многие их родные и близкие в концлагерях. Потеряв родину и привычный уклад жизни, подвергаясь смертельной опасности, герои все же находят в себе силы для сострадания и любви. В книге представлен неадаптированный текст на языке оригинала, снабженный словарем и комментариями. Адресована студентам языковых вузов и всем интересующимся немецким языком.
Ремарк, Э.М. Возлюби ближнего своего: книга для чтения на немецком языке : художественная литература / Э. М. Ремарк. — Koln : Kiepenheuer & Witsch. - Санкт-Петербург : КАРО, 2017. - 560 с. - (Moderne Prosa). - ISBN 978-5-9925-0650-1. - Текст : электронный. - URL: https://znanium.com/catalog/product/1048345 (дата обращения: 23.11.2024). – Режим доступа: по подписке.
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 Erich Maria REMARQUE





                LIEBE DEINEN NACHSTEN





MODERNE P R □ S A

Комментарии, словарь Л. M. Бузиновой





                         КАРО
                         Санкт-Петербург

УДК 372.8-821.112.2-93
ББК 81.2 Нем-93
     Р37
Впервые опубликовано на немецком языке как “Liebe demen Nachsten” von Erich Maria Remarque
       Ремарк, Эрих Мария.
Р37 Возлюби ближнего своего : книга для чтения на немецком языке / Э. М. Ремарк. — Koln : Kiepenheuer&Witsch; Санкт-Петербург : КАРО, 2017. — 560 с. — (Moderne Prosa).
       ISBN 978-5-9925-0650-1.
          Эрих Мария Ремарк (1898-1970) — знаменитый немецкий писатель. В его романах запечатлены антифашизм и социальная критика с гуманистических позиций, стремление «потерянного поколения» найти опору в дружбе, фронтовом товариществе и любви.
          «Возлюби ближнего своего» (1940) — это роман о немецких эмигрантах, вынужденных скитаться по предвоенной Европе. Они скрываются, голодают, тайком пересекают границы, многие их родные и близкие в концлагерях. Потеряв родину и привычный уклад жизни, подвергаясь смертельной опасности, герои все же находят в себе силы для сострадания и любви.
          В книге представлен неадаптированный текст на языке оригинала, снабженный словарем и комментариями. Адресована студентам языковых вузов и всем интересующимся немецким языком.
УДК 372.8-821.112.2-93
ББК 81.2 Нем-93
                           © Erich Maria Remarque,1941
                           © Kiepenheuer&Witsch,
                             1978, 1991, 1998
                           © Издательско-полиграфический центр КАРО, 2011
ISBN 978-5-9925-0650-1 Все права защищены

              Man braucht ein starkes Herz, um ohne Wurzel zu leben —







            ERSTER TEIL


1
   Kern fuhr mit einem Ruck aus schwarzem, bro-delndem Schlaf empor und lauschte. Er war, wie alle Gehetzten, sofort ganz wach, gespannt und bereit zur Flucht. Wahrend er unbeweglich, den schmalen Korper schrag vorgeneigt, im Bette saR, uberlegte er, wie er entkommen konnte, wenn der Aufgang schon besetzt ware.
   Das Zimmer lag im vierten Stock. Es hatte ein Fenster nach der Hofseite, aber keinen Balkon und kein Gesims, von denen aus die Dachrinne zu errei-chen gewesen ware. Nach dem Hofe zu war eine Flucht also unmoglich. Es gab nur noch einen Weg: uber den Korridor zum Dachboden und uber das Dach hinweg zum nachsten Hause.
   Kern sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. Es war kurz nach funf. Das Zimmer war noch fast fin

3

ERICH MARIA REMARQUE

ster. Grau und undeutlich schimmerten die Laken der beiden anderen Betten durch die Dunkelheit. Der Pole, der an der Wand schlief, schnarchte.
    Vorsichtig glitt Kern aus dem Bett und schlich zur Tur. Im selben Augenblick ruhrte sich der Mann, der im mittleren Bette lag. „Ist was los?“ flusterte er.
    Kern gab keine Antwort; er hielt das Ohr an die Tur gepresst.
    Der andere richtete sich auf. Er wuhlte in den Sachen, die am Pfosten des eisernen Bettgestells hin-gen. Eine Taschenlampe blitzte auf und fing in ihrem fahlen, zitternden Lichtkreis ein Stuck der braunen, abgeblatterten Tur und die Gestalt Kerns, der mit wirrem Haar und zerdrucktem Unterzeug am Schlus-selloch lauschte.
    „Verdammt, sag, was los ist!“ zischte der Mann im Bett.
    Kern richtete sich auf. „Ich weiR nicht. Bin auf-gewacht, weil ich irgendwas gehort habe.
    „Irgendwas! Was irgendwas, du Dummkopf?“
    „Irgendwas unten. Stimmen, Schritte oder so was.“
    Der Mann stand auf und kam zur Tur. Er hatte ein gelbliches Hemd an, unter dem im Schein der Taschenlampe ein Paar stark behaarte, muskulose Beine hervorkamen. Er horchte eine Weile. „Wie lange wohnst du schon hier?“ fragte er dann.
    „Zwei Monate.“
    „War in der Zeit schon mal ’ne Razzia?“

4

    Kern schuttelte den Kopf.
    „Aha! Wirst dich dann wohl verhort haben. Ein Furz im Schlaf klingt ja manchmal wie ein Donner-schlag.“
    Er leuchtete Kern ins Gesicht. „Na ja, knapp zwanzig, was? Emigrant?“
    „Naturlich.“
    „Jesus Christus tso siem stalo...“ gurgelte plotz-lich der Pole in der Ecke.
    Der Mann im Hemd lieR den Lichtkreis hinuber-wandern. Ein schwarzes Bartgestrupp mit aufgeris-sener Mundhohle und aufgerissenen Augen unter buschigen Brauen tauchte aus dem Dunkel auf.
    „Halt’s Maul¹ mit deinem Jesu Christo, Polack“, knurrte der Mann mit der Taschenlampe. „Der lebt nicht mehr. Ist als Kriegsfreiwilliger an der Somme² gefallen.“
    „Tso?“
    „Da ist es wieder!“ Kern sprang zum Bett. „Sie kommen von unten! Wir mussen ubers Dach!“
    Der andere drehte sich wie ein Kreisel. Man hor-te Turen klappen und gedampfte Stimmen. „Ver-flucht! ’raus! Polski, ’raus! Polizei!“
    Er riss seine Sachen vom Bett. „WeiRt du den Weg?“ fragte er Kern.
    „Ja. Rechts, den Korridor entlang! Die Treppe hinter dem Ausguss ’rauf!“

  ¹ Halt’s Maul... (gespr.) — Nicht reden! Still sein!

  ² Somme, die — Fluss in Frankreich

LIEBE DEINEN NACHSTEN

5

ERICH MARIA REMARQUE

    „Los!“ Der Mann im Hemd offnete lautlos die Tur.
    „Matka boska!“ gurgelte der Pole.
    „Halt’s Maul! Verrat nichts!“
    Der Mann zog die Tur zu. Kern und er huschten den schmalen, schmutzigen Korridor entlang. Sie liefen so leise, dass sie den schlecht zugedrehten Was-serhahn uber dem Ausguss tropfeln horten.
    „Hier ’rum!“ flusterte Kern, bog um die Ecke und rannte gegen etwas. Er taumelte, sah eine Uniform und wollte zuruck.
    Im gleichen Augenblick bekam er einen Schlag auf den Arm. „Stehenbleiben! Hande hoch!“ kom-mandierte jemand aus dem Dunkel.
    Kern lieR seine Sachen zu Boden rutschen. Sein linker Arm war taub von dem Schlag, der den Ellenbogen getroffen hatte. Der Mann im Hemd sah eine Sekunde lang so aus, als wolle er sich in das Dunkel auf die Stim-me sturzen. Aber dann blickte er auf den Lauf des Revolvers, der ihm von einem zweiten Beamten gegen die Brust gehalten wurde, und hob langsam die Arme.
    „Umdrehen!“ kommandierte die Stimme. „Ans Fenster stellen!“
    Die beiden gehorchten.
    „Sieh nach, was in den Taschen ist“, sagte der Polizist mit dem Revolver.
    Der zweite Beamte untersuchte die Kleider, die auf dem Boden lagen. „FunfunddreiRig Schilling¹ —

  ¹ Schilling, der — eine osterreichische Wahrungseinheit. Von
    1925 bis 1938 und 1945 bis 1998 war der Schilling Buch- und

6

eine Taschenlampe — eine Pfeife — ein Taschenmes-ser — ein Lauskamm — sonst nichts...“
    „Keine Papiere?“
    „Paar Briefe oder so was...“
    „Keine Passe?“
    „Nein.“
    „Wo habt ihr eure Passe?“ fragte der Polizist mit dem Revolver.
    „Ich habe keinen“, erwiderte Kern.
    „Naturlich!“ Der Polizist stieR dem Mann im Hemd den Revolver in den Rucken. „Und du? Muss man dich extra fragen, du Hurenbankert?* ²“ sagte er.
    Die beiden Polizisten sahen sich an. Der ohne Revolver fing an zu lachen. Der andere leckte sich die Lippen. „Ah, da schau her, ein feiner Herr!“ sag-te er langsam. „Exzellenz, der Stromer! General Stinktier!“ Er holte plotzlich aus und schlug dem Mann die Faust gegen das Kinn. „Hande hoch!“ brull-te er, als der andere taumelte.
    Der Mann sah ihn an. Kern glaubte noch nie ei-nen solchen Blick gesehen zu haben. „Dich meine ich, du ScheiRer!³“ sagte der Polizist. „Wird’s bald? Oder soll ich dir dein Gehirn noch einmal aufschut-teln?“
    „Ich habe keinen Pass“, sagte der Mann.

    Bargeld, ab 1999 bis zur Bargeldeinfuhrung des Euros gab es den Schilling nur als Bargeld.

  ² du Hurenbankert (vulg.) — ein Schimpfwort

  ³ du ScheiBer (vulg.) — ein Schimpfwort

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7

ERICH MARIA REMARQUE

    „Ich habe keinen Pass“, affte der Polizist nach. „Naturlich, Herr Hurenbankert hat keinen Pass. Konnte man sich ja wohl denken! Los, anziehen, aber flott!“
    Eine Gruppe Polizisten lief den Korridor entlang. Sie rissen die Turen auf. Einer mit Schulterstucken kam heran. „Was habt ihr denn da?“
    „Zwei Vogel, die ubers Dach verduften wollten.“ Der Offizier betrachtete die beiden. Er war jung. Sein Gesicht war schmal und blass. Er trug einen sorgfaltig gestutzten, kleinen Schnurrbart und roch nach Toilettewasser. Kern erkannte es; es war Eau de Cologne 4711. Sein Vater hatte eine Parfumfa-brik gehabt, daher wusste er so etwas.
    „Die beiden werden wir uns besonders vorneh-men“, sagte der Offizier. „Handschellen!“
    „Ist es der Wiener Polizei erlaubt, bei Verhaftun-gen zu schlagen?“ fragte der Mann im Hemd.
    Der Offizier sah auf. „Wie heiRen Sie?“
    „Steiner. Josef Steiner.“
    „Er hat keinen Pass und hat uns bedroht“, er-klarte der Polizist mit dem Revolver.
    „Es ist noch viel mehr erlaubt, als Sie denken“, sagte der Offizier kurz.
    „Marsch, ’runter!“
    Die beiden zogen sich an. Der Polizist holte Handschellen hervor. „Kommt, ihr Lieblinge! So, jetzt seht ihr schon besser aus. Passen wie nach MaR.“

8

    Kern spurte den Stahl kuhl an seinen Gelenken. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er gefes-selt wurde. Die Stahlreifen hinderten ihn beim Ge-hen nicht sehr. Aber ihm schien, als fesselten sie mehr als nur seine Hande.
    DrauRen war es fruher Morgen. Vor dem Hause hielten zwei Polizeiautos. Steiner verzog das Gesicht. „Begrabnis erster Klasse! Nobel, was, Kleiner?“
    Kern antwortete nicht. Er versteckte die Hand-schellen, so gut es ging, unter seinem Rock. Ein paar Milchkutscher standen neugierig auf der StraRe. Gegenuber in den Hausern waren Fenster offen. Gesichter schimmerten wie Teig aus den dunklen Offnungen. Eine Frau kicherte.
    Ungefahr dreiRig Verhaftete wurden auf die Wa-gen gebracht. Es waren offene Polizeiflitzer¹. Die mei-sten der Leute stiegen ohne ein Wort hinauf. Auch die Besitzerin des Hauses war darunter, eine dicke, hellblonde Frau von etwa funfzig Jahren. Sie war die einzige, die erregt protestierte. Seit einigen Monaten hatte sie zwei leerstehende Etagen ihres baufal-ligen Hauses auf billigste Weise in eine Art Pension verwandelt. Es hatte sich bald herumgesprochen, dass man dort schwarz schlafen konnte, ohne bei der Polizei gemeldet zu werden. Die Frau hatte nur vier richtige Mieter mit polizeilicher Anmeldung — ei-nen Hausdiener, einen Kammerjager und zwei Hu
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   ¹ Flitzer, der (ugs.) — kleines, schnelles Fahrzeug

9

ERICH MARIA REMARQUE

ren. Die ubrigen kamen abends, wenn es dunkel wurde. Fast alle waren Emigranten und Fluchtlinge aus Deutschland, Polen, Russland und Italien.
    „Los, los!“ sagte der Offizier zu der Vermieterin. „Sie konnen das alles auf der Wache erklaren. Da haben Sie Zeit genug dazu.“
    „Ich protestiere!“ schrie die Frau.
    „Protestieren konnen Sie, soviel Sie wollen. Vor-laufig kommen Sie mit.“
    Zwei Polizisten fassten die Frau unter die Arme und hoben sie auf den Wagen.
    Der Offizier wandte sich zu Kern und Steiner. „So, jetzt diese beiden. Extra aufpassen auf sie.“
    „Merci¹“, sagte Steiner und stieg auf. Kern folgte ihm.
    Die Autos fuhren los. „Auf Wiedersehen!“ kreischte eine Frauenstimme aus den Fenstern.
    „Schlagt das Emigrantenpack tot!“ brullte ein Mann hinterher. „Dann spart ihr das Futter.“
    Die Polizeiautos fuhren ziemlich schnell, denn die StraRen waren noch fast leer. Der Himmel hinter den Hausern wich zuruck, er wurde heller und weiter und durchsichtig blau, aber die Verhafteten standen dunkel auf den Wagen wie Weiden im Herbstregen. Ein paar Polizisten aRen belegte Brote. Sie tranken Kaf-fee aus flachen Blechflaschen.
    In der Nahe der Aspernbrucke kreuzte ein Gemuseauto die StraRe. Die Polizeiwagen bremsten und

  ¹ Merci <franz.> = Danke

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